Berührt es mich?

Berührt es mich?

Virtual Reality und ihre Wirkung auf das Besuchserlebnis in Museen – eine Untersuchung am Deutschen Auswandererhaus

von Katie Heidsiek, herausgegeben vom Deutschen Auswanderhaus
Bremerhaven 2019. 140 Seiten.

ISBN 978-3-9817-8619-4

 

 

(md) Welche Präsentation bringt museale „Botschaften“ besser an die Besucher: Eine Virtual Reality-Anwendung oder eine traditionelle Rauminszenierung mit Texten, Objekten, Hörstationen etc.? Rund um diese Frage hat das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven ein sehr aufwändiges wissenschaftliches „Ausstellungsexperiment“ durchgeführt. Die Fragestellung zielt auf das „visitor experience“, das Museologen weltweit nun schon viele Jahre zu verbessern versuchen. Ob der Einsatz digitaler Technologien wie Virtual Reality hierfür zielführend ist, wird unter Museumsexperten stark kontrovers diskutiert.

Der aktuell veröffentlichte Ergebnisbericht mit dem Titel „Berührt es mich?“ dokumentiert mit jeweils ausführlichen methodischen Erörterungen das Vorgehen in Bremerhaven: Das Deutsche Auswandererhaus hat mit einem museumseigenen Sammlungskonvolut eine kleine Ausstellung über einen Kriegsgefangenen im 1. Weltkrieg konzipiert. Dabei sollten zwei inhaltliche Vermittlungsschwerpunkte an die Besucher „transportiert“ werden, die mit den Gefühlen „Ohnmacht“ und „Sehnsucht“ umschrieben wurden. Zu jedem der beiden Schwerpunkte gab es einerseits einen Raum mit traditioneller musealer Gestaltung, andererseits eine je rund dreiminütige VR-Anwendung in einem anderen Raum. Jede/r der rund 700 Teilnehmenden an der Studie hat sodann eines der Themen in traditioneller Ausstellungsgestaltung, das andere aber in der VR-Anwendung gesehen. So erlebte jede Besuchsperson beide Vermittlungsmethoden. Die Teilnehmenden wurden unmittelbar vor dem Ausstellungsbesuch und unmittelbar danach per Fragebogen befragt. Hierddurch ergaben sich zwei Datensatzgruppen: Erstens von Personen die „Ohnmacht“ virtuell und „Sehnsucht“ analog gesehen hatten, zweitens von Personen, die „Sehnsucht“ virtuell und „Ohnmacht“ analog gesehen hatten.

Effekte einer Langzeitwirkung sollte eine telefonische Erhebung nach vier Monaten zu Tage bringen. Außerdem wurden für die Studie noch Gruppendiskussionen unter Museumsexperten durchgeführt, um deren Einschätzung von Virtual-Reality-Einsatz in Museen auszuloten.

„Die Studie zeigt, dass sowohl traditionelle Methoden als auch Virtual Reality Vor- und Nachteile haben, die es – abhängig von der jeweiligen Zielsetzung – abzuwägen gilt.“ (S.5)

Das Deutsche Auswandererhaus hat das Ausstellungsexperiment im Rahmen des Projekts  museum4punkt0 der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien weitgehend mit eigenem Personal realisiert. Allein für die VR-Anwendungen wurde die Expertise einer externen Agentur hinzugezogen. Der Bericht zeigt, dass sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen des Museums kräftig in empirische Methoden eingearbeitet und versucht haben, allen Anforderungen gerecht zu werden. Dennoch müssen hier Zweifel an der Belastbarkeit der hier erhobenen Daten formuliert werden, zuletzt bleiben zudem die tatsächlichen Schlussfolgerungen sehr allgemein und begrenzt:

„Eine authentische Virtual Reality-Erfahrung kann nicht das bereits Bestehende ersetzen (nämlich historische Objekte) und nichts erschaffen, was nicht existiert (z. B. fehlende historische Informationen), aber sie kann eine zusätzliche Informationsebene, einen zusätzlichen Kontext oder Zugang bieten, der die traditionelle Museumserfahrung bereichert.“ (S.102)

Die Studie ist überambitioniert, will zu viele Fragen und Zusammenhänge in einem Durchgang beleuchten, die eine erfahrene Forschungscrew wohl in ver­schiedenen,  aufeinander aufbauenden Untersuchungsschritten klären würde. Stattdessen haben sich die Autor*innen munter aus dem methodischen Bau­kasten bedient, ohne jedoch auf wesentliche Grundkenntnisse und Erfah­run­gen aus der (Medien-)Wirkungsforschung, aus der Psychologie und der empirischen Sozialforschung zurückgreifen zu können. Bereits die Gestaltung der schriftlichen Fragebögen lässt auf relative Unerfahrenheit schließen und auch die Darstellung der Ergebnisse in den Grafiken muss man als suboptimal bezeichnen. Wesentlich gravierender jedoch ist die Grundanlage des Experi­ments zu kritisieren, das sich nicht entscheidet, wirklich eine Laborunter­su­chung zu sein.

Gerade der Anspruch, durch verschiedene  Ausstellungs­varianten Gefühle zu evozieren und dieselben dann bei den Probanden zu „messen“, hätte in jedem Fall einer sensorischen Messung bedurft und nicht nur einer Selbstauskunft per Fragebogen. Man hätte dann zwar deutlich weniger Personen in die Studie einbeziehen können, dafür aber validere Ergebnisse erzielt. Weiterhin hätte bei einer so komplexen Befragung rund um Emotionen im Prinzip auch die Unterschiedlichkeit von Persönlichkeiten berücksichtigt werden müssen, d.h. eine generelle und vergleichbare Empathiefähigkeit kann nicht einfach vorausgesetzt werden.

Die Studie ist als PDF hier frei erhältlich.

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