Museen digital
Eine Gedächtnisinstitution sucht den Anschluss an die Zukunft
von Hubertus Kohle
Heidelberg 2018. 207 Seiten.
ISBN 978-3-94054-86-3 Print, 16,90 Euro
ISBN 978-3-94054-86-6 PDF, Download hier
(md) Die „Gedächtnisinstitution“, die „Weihestätte“, das „Schatzhaus“ auf der einen Seite, „der Agent von Zerstörung und Transformation“ (S.19) auf der anderen Seite. Hubertus Kohle markiert mit starken Begriffen einen Gegensatz, der insbesondere in Deutschland von Kuratoren, Kunsthistorikern und dem Kulturpublikum offenbar als gravierend empfunden wird. Museen als Ort der Kontemplation, des Originalen, der Deutungshoheit sehen sich heute konfrontiert mit Ansprüchen nach open access, sozialer Relevanz und zeitgemäßer Vermittlung. Die Digitalisierung macht auch vor den Toren der ehrwürdigen Institition Museum nicht Halt und Kohle hält es für unausweichlich, dass sie sich damit auseinandersetzen muss.
So wohltuend es einerseits ist, dass hier nicht die übliche affirmative Begeisterung gegenüber der digitalen Zukunft an den Tag gelegt ist, so übertrieben vorsichtig erscheint andererseits die Rücksichtnahme des Autors auf die Bedenken und Einwände seiner anvisierten Leserschaft. So formuliert er etwa zum Thema Ansprache neuer Zielgruppen: „Es wäre eine Schande, wenn diese Zeitgenossen (das traditionelle Kunstpublikum, Anm.MD) vergrault würden um den vermuteten Gewinn einer neuen Besucherschaft willen, deren Treue zur Institution auch noch längst nicht erwiesen ist.“ (S. 183)
Der Autor ist Kunsthistoriker und hat sich in einigen wegweisenden (Kunst-)Museen umgesehen, die bereits digitale Projekte entwickelt und erprobt haben. Sein Buch ist insofern eine eher locker gehaltene und überwiegend räsonnierende Bestandaufnahme, er will „Ideen“ zur Diskussion stellen, nicht „Vorbilder zur Nachahmung“ liefern (S. 21). Fünf Museen aus den USA, Großbritanien und den Niederlanden werden schwerpunktmäßig behandelt, hinzu kommt für Deutschland das „Städelsche Kunstininstitut“ und als reines Online-Projekt der EU die Meta-Datenbank „Europeana“. Was Kohle wenig zu interessieren scheint, ist eine systematische Behandlung der verschiedenen digitalen Projekte und auch nicht die Analyse und Differenzierung der Strategien der einzelnen Häuser. Vielmehr schildert Kohle eher unstrukturiert, schiebt auch immer wieder ähnliche Beispiele aus anderen Museen der Welt dazwischen.
Ein weites Spektrum…
Die Bestandsaufnahme selbst zeigt die Vielfalt und Bandbreite von Ideen, die in Museen bislang im digitalen Bereich entwickelt wurden: Sie reicht von der umfassenden Präsentation der eigenen Sammlung des Brooklyn Museums im Internet über die Auseinandersetzung von Künstlern mit der Sammlung des Metropolitan Museum im „The Artist Project“. Weiter geht es über die inzwischen häufigen Spiele- oder Remix-Apps hin zu der digitalen Rekonstruktion verlorener Werke oder Werkdetails… Noch befinden sich die Museen in einer experimentellen Phase, viele Projekte sind nur kurzfristig und die tatsächliche Resonanz beim Publikum wird nur in wenigen Fällen transparent.
Kohle wirbt für eine Offenheit gegenüber den Möglichkeiten, die Erfahrungen des Publikums zu erweitern – bei gleichzeitig reflektierter Umsetzung. Museen sollten sich anderen Zugängen nicht verschließen, ohne ihre Kernkompetenzen dafür aufzugeben: „Warum in einem Museum nicht unterschiedliche Zonen einrichten, die einmal mehr der Verinnerlichung, ein anderes Mal mehr der Diskursivität dienen?“ (S.184)
Insofern wird auch im Resümée die Notwendigkeit einer in jedem Museum zu erarbeiteten Strategie betont: „Erstens gilt es, anstatt gleich irgendwie loszulegen, so etwas wie eine digitale Strategie zu entwickeln, in der die grundsätzlichen Ziele definiert, das dem Publikum und dem eigenen Personal Zumutbare beschrieben und die finanziellen Ressourcen eruiert werden.“ (S.185)